“FORM UND RAUM” -
Grafische Arbeiten vor der Landschaft

SÜDTIROL / DOLOMITEN

Diese Arbeiten von Hortensia sind in den Jahren 2004 - 2018 in Südtirol und Venetien in einer intensiven Auseinandersetzung mit der einzigartigen Landschaft entstanden. “Form und Raum” war nicht umsonst der Titel zahlreicher Ausstellungen, in denen diese wertvollen Blätter gezeigt wurden, die sicherlich zu den bedeutendsten Arbeiten zählen, die je in diesem Gebiet entstanden sind.

Vom Blickpunkt und dem Augenblick – 
Interpretation und Wiedergabe der Wirklichkeit


Auszug aus dem Vorwort des Kataloges “Das Bild in Zeichnung und Fotografie”
Konstantin Denchev, Kunsthistoriker, 2005

Dass in der Malerei Naturforschung, mathematische Grundsätze, intensive Naturbetrachtung und künstlerisches Gestaltungsvermögen zusammengehen, wurde am deutlichsten von Leonardo da Vinci formuliert. Auch Hortensia beruft sich in ihrer Zeichnung auf die Naturstilisierung als prinzipielle Regel. Den vielfältigen symbolischen Anspielungen und Bezügen ihrer Arbeit zu folgen verlangt vom Betrachter außer sinnlicher Aufnahmebereitschaft ständiges Mitdenken über die ins Werk eingebrachten Gedankengänge. Ausdrücklich wünscht sie, dass der Betrachter den Entstehungsprozess der Zeichnung nachvollziehen könne. Dazu verschafft sie ihm optische Anreize. Um aber der Kraft und Gesetzmäßigkeit der Natur inne zu werden, ist es für Hortensia in ihrer Arbeit als Zeichnerin und Bildhauerin unabdingbar, sich dem Sichtbaren direkt zuzuwenden, Erfahrungswissen zu erwerben, denn, wie sie sagt: „Die Wirklichkeit ist für mich am Bild selbst“. Sie vertraut auf: „Das Auge, das man das Fenster der Seele nennt...“. Wenn eine Form durch Licht und Schatten fürs Auge modelliert wird, so ist das Erscheinungsmittel der Gegensatz hell und dunkel. Insofern jedoch hell und dunkel in diesem bestimmten Verhältnis und an dieser bestimmten Stelle zu einer modellierenden Wirkung gelangen,  stellen sie einen Raumwert der Erscheinung für das konzipierende Auge dar. Dieses ist das Instrument, welches erkennt, woraus sich die Welt zusammenfügt, nämlich Licht, Farbe, Körper, Weite, Nähe, Bewegung und Ruhe, welche in der Natur vorhanden sind. Die Form in der Natur gilt dann gleichsam in ihrer Arbeit als ein Gewand, welches die Natur als Körper trägt, und der Wert der wechselnden Flächenerscheinung wird sich gleichfalls danach bemessen, wie weit die Form an der Klärung des räumlichen Ausdrucks Teil hat. 

 Hortensia abstrahiert und bringt Fläche und Begrenzung in Einklang, bis das Naturbild in formale Beziehungen und Rhythmen auf der Fläche verwandelt wird. Dabei klären sich die Elemente zunehmend: die kurvigen Linien spannen sich zu Geraden, schräge Körperebenen richten sich zur Vorderfläche parallel, die unbestimmte Rhythmik strafft sich im Elementarkontrast der Senkrechten und Waagrechten. Hortensia betrachtet die Natur so, als ob sie ihr alle möglichen Erscheinungsvariationen über ein Thema gäbe. Denn die Formvorstellung ist ein Fazit, welches sie aus dem Vergleich der Erscheinungsweisen gezogen hat und welches das Notwendige vom Zufälligen gesondert hat. Sie ist also nicht eine Wahrnehmung schlechthin, sondern eine Verarbeitung von Wahrnehmungen aus einem bestimmten Blickpunkt.

Gerade durch diese Konzentration und Zusammenfassung in der Zeichnung vermag die Kunst die zerstreute Anregung der Natur zu übertreffen. 

Hortensia beobachtet die Naturerscheinung in  ihrem ewigen Wechsel, sie scheidet alle schwächlichen, nichtssagenden Konstellationen aus und bringt sich auf diese Weise in eine vorteilhafte Lage der Natur gegenüber. Durch dieses Klärungs-System vermag sie der Zeichnung die Kraft einzuverleiben, die sie der Natur gegenüber wertvoll macht. Hortensia bleibt also nicht bei der Forcierung eines bloß sensuellen Erlebens. Naturbetrachtung - das heißt die Gesetze der Natur zu erkennen, Einblick in ihre innere Notwendigkeit zu gewinnen, die Bedingungen ihrer Erscheinungen zu untersuchen, um hiervon ausgehend die Prinzipien künstlerischer Gestaltung zu bestimmen. Der künstlerische Blick auf die Dinge ist stets zugleich ein Forschen – das Kunstwerk nicht Spiegel der Natur in künstlerisch ästhetisierter Form, sondern Einblick in formimmanente Prinzipien. Voraussetzung dafür ist ein intensives Studium der Naturphänomene verbunden mit einer an der Mathematik orientierten präzisen verstandesmäßigen Erklärung und  Urteilsfindung. 

Ihre Zeichnungen und Skulpturen sind in sich geschlossene Aussagen über die Natur in der Kunst in all ihren wesentlichen Aspekten. Das Universelle der Natur kann nur ausgedrückt werden als Wohltat reiner Verhältnisse, als Gleichgewicht aus Kontrasten. Die Komposition ist zeichnerisch die Realität. Hortensias Werk offenbart die Wechselwirkung zwischen der zugrundeliegenden Ordnung und der vernunftwidrigen Vielfalt der Natur. 

Die Zeichnung ist für Hortensia Ausdrucksträger einer inneren Welt der Vorstellung, eine Apperzeption des schaffenden Subjekts, ein Verbindungsfeld konstituierender Bildelemente, und so zeichnet sie ein harmonisches  Ganzes, in dem Formcharaktere eine Schlüsselstellung innehaben. Die unmittelbare Naturerfahrung webt eine neue zeichnerische Abstraktion. 

 Der künstlerische Arbeitsprozess ist Verwandlung des Sichtbaren in Zeichenbares. So holt der Künstler aus der Natur die ihm gemäßen Klänge heraus und verteilt nach seiner Art die Tonstärke und das Verschweigen. In ihm formt sie sich zu einem andern Sinngebilde. Das Kunstwerk dagegen überlässt sich nicht fremdem Gesetz: es will so und nicht anders genommen werden.

 Die Zeichnung befreit von der rein optischen Wahrnehmung und begründet für Hortensia die Notwendigkeit zur Entwicklung von Kriterien eigener bildnerischer Gesetzmäßigkeit. Anstelle überkommener Kompositionsformen tritt die Offenheit aller auf dem Bilde befindlichen Flächen füreinander, das Ineinanderwirken gegensätzlicher Elemente wie Licht-Schatten, Volumen-Umriss. Sich wechselseitig bedingend oder auseinander hervorgehend, scheinen diese Elemente, abgelöst aus ihrer darstellenden Funktion, sich selbst zu inszenieren. Aus der Gliederung von Massen und Proportionen, der Verhältnismäßigkeit der Landschaftsteile, entfalten sie ihre eigene Dynamik, die sich von den Wirkungsmöglichkeiten anderer Kunstformen unterscheidet. Alles in der Bildfläche Erscheinende bedingt sich gegenseitig als Anregung zu einer geschlossenen Harmonie in der Vorstellung. 

 Eine Dimension, in der Hortensia ihre Freiheit ausspielen kann, ist das Ausmaß an Abstraktion, dessen sie sich zur Wiedergabe ihres Themas bedient. Sie beruft sich auf Mondrian und sein Werk und arbeitet mit einfachen Grundelementen, welche die künstlerische Erfahrung durch rein visuellen Ausdruck und Raumbeziehungen erklären. Die Formen, die sich bilden, wenn die Darstellung auf einige wenige Merkmale des Objektes konzentriert ist, sind einfach. Bei all diesen Vorgängen kommt es sowohl auf das körperliche Dasein der Dinge an als auch auf die Wirkung, die sie ausüben oder der sie unterworfen sind. Es ist festzustellen, dass ihre Abstraktion nie in Gefahr läuft, sich vom Reichtum des tatsächlichen Daseins zu entfernen.

Spanien

Über die Spanienblätter


Das Land, das sich vor den Augen ausbreitet, ist herrlich: es ist voller Licht, die Landschaft ist tief, sie ist reich gegliedert, da erheben sich steile Berge, dort erstrecken sich Ebenen und niedrige Bergzüge, da liegt ein Dorf mit kubischen Häusern in einer Mulde, dort krönt eine alte Burg einen niedrigen Bergrücken. Die Linie, die Hortensia zeichnet, tastet sich den Grenzen des Motivs entlang, und ihre Abstraktionskraft klärt die Formationen. "Natur" und menschliches Werk greifen ineinander und heben sich gegenseitig hervor. Das Licht wird Farbe: Abstrahiert die Linie Gestalten, so haucht die Farbe der Abstraktion sinnliches Leben ein. Die Farbe scheidet Erde und Himmel und ihre Leuchtkraft entspringt der Strahlkraft des Lichtes, so sparsam sie auch verteilt sein mag. Ja gerade diese Sparsamkeit steigert den Eindruck, den die Lichtfülle des Südens auslöst: ein Gelb, ein Blau ein Grün, auf der Bildfläche so verteilt oder konzentriert, daß sie diese kompositionell akzentuiert, werden zu Ruffarben, zu Ausdrucksfarben.

Hortensia ist Bildhauerin: die Notwendigkeit, eine naturgegebene Gestalt zu höchstmöglicher Klarheit zu läutern, veranlaßt sie, nicht nur die menschliche Gestalt zu figurieren, sondern alles Sichtbare geistig zu präzisieren. Eine geklärte Körperlichkeit der Skulptur bedingt die Klärung landschaftlicher Formationen und eine Farbhymne an das Licht.

Heimo Kuchling, 18.2.1999


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